von Christina Wittwer
Verwarnung: Wann und wie soll verwarnt werden?
Die Verwarnung ist eine jederzeit zulässige allgemeine Disziplinarmassnahme, um das Fehlverhalten von Mitarbeitenden zu rügen. Insbesondere im Falle einer Kündigung stellt sich oftmals die Frage, wie lange sich der Arbeitgeber auf eine Verwarnung berufen kann.
Gemäss Art. 337 Abs. 1 OR kann sowohl die Arbeitgeberin als auch der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis «aus wichtigen Gründen» fristlos kündigen – also ohne Verwarnung. Hinsichtlich der arbeitgeberseitigen Kündigung präzisiert die Gerichtspraxis, dass nur eine «besonders schwere Verfehlung» des Arbeitnehmers einen wichtigen Grund darstellt, der eine fristlose Kündigung durch die Arbeitgeberin rechtfertigen kann. Die Verfehlung muss einerseits objektiv dazu geeignet sein, die für ein Arbeitsverhältnis unabdingbare Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien zu zerstören. Andererseits wird verlangt, dass die Vertrauensbasis subjektiv tatsächlich zerstört wurde, sodass der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist.1
Eine Rechtsvorschrift, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zunächst verwarnt werden muss, besteht folglich nicht. Mit andern Worten: Ein Arbeitnehmer kann nicht geltend machen, er hätte zuerst verwarnt werden müssen.
Allerdings sind auch Fälle bekannt, in welchen sich die gewarnte Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter krankschreiben liess, sodass eine Kündigung wegen der Sperrfristen bei Krankheit vorerst nicht mehr möglich war. Allerdings verbessert sich die Situation mit dem Weglassen der Verwarnung kaum:
Wird die Kündigung sofort ausgesprochen, so verlängert sich bei später krankgeschriebenen Mitarbeitenden die Kündigungsfrist ebenfalls um die Krankheitsdauer und im Maximum um die Sperrfrist.
Verwarnung vor einer fristlosen Entlassung
Wer mit einem Blick ins Gesetz Näheres über die Verwarnung herauszufinden versucht, wird enttäuscht. Im Gesetz ist zwar im Grundsatz geregelt, wann eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist (oder eben nicht), die Verwarnung wird jedoch nirgends erwähnt. Sie ist ein Kind der Rechtspraxis.
Nicht jede Abmahnung stellt auch eine Verwarnung im Rechtssinne dar, sondern eine rechtsgültige Verwarnung muss einer Rüge- und Warnfunktion dienen. Die Arbeitgeberin muss dem Arbeitnehmer einerseits unmissverständlich klarmachen, dass sie die begangene(n) Verfehlung(en) schwer gewichtet (Rügefunktion). Die Verfehlung sollte also konkret benannt bzw. kurz und detailliert beschrieben werden, damit später keine Unklarheit darüber besteht, welches Verhalten gerügt wurde. Andererseits muss die Arbeitgeberin ebenso unmissverständlich kommunizieren, dass sie eine Wiederholung nicht sanktionslos hinnehmen wird (Warnfunktion)2.
Sie muss für den Wiederholungsfall konkrete Konsequenzen androhen. Auch wenn die explizite Androhung einer fristlosen Kündigung nicht in jedem Fall notwendig ist, empfiehlt es sich dennoch, diese zumindest als mögliche Konsequenz mit aufzunehmen.
Eine wichtige Ausnahme stellen einige Gründe für eine fristlose Entlassung dar. Zwar ist eine zu Unrecht ausgesprochene fristlose Entlassung gültig. Beispielsweise stellt eine Bagatelle, ein einmaliges leichtes Fehlverhalten oder ein Missgeschick keinen Grund für eine fristlose Entlassung dar. Wird eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter aus solchen Gründen fristlos entlassen, muss der Arbeitgeber während der ordentlichen Kündigungszeit den Lohn weiterzahlen.
Bei fristlosen Entlassungen verlangt die Gerichtspraxis bei einigen Grenzfällen, dass das Verhalten zunächst gerügt wird, bevor eine fristlose Entlassung zu Recht ausgesprochen werden kann. Insbesondere betrifft dies folgende Fälle:
- Trunkenheit oder Drogenkonsum am Arbeitsplatz
- «Blaumachen»
- Zuspätkommen oder verfrühtes Verlassen des Arbeitsplatzes
Weil immer die konkreten Umstände des Einzelfalls entscheidend sind, ist es nicht möglich, eine allgemeingültige Anleitung zu erstellen. Es gibt jedoch einige Fallgruppen, in denen zumindest in der Regel eine besonders schwere Verfehlung angenommen werden kann, womit eine fristlose Kündigung auch ohne vorgängige Verwarnung gerechtfertigt ist, z.B.:3
- strafbare Handlungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, also z.B. gegenüber der Arbeitgeberin selbst oder gegenüber anderen Arbeitnehmenden; Straftaten ausserhalb des Arbeitsverhältnisses stellen demgegenüber in der Regel keinen wichtigen Grund dar
- eigenmächtiger Bezug von Ferien
- Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit
Eine Verwarnung ist auch bei einer Verweigerung der Arbeit verlangt. Hier kann die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter aber sofort verwarnt werden. Dabei muss die fristlose Kündigung bei fortgesetzter Verweigerung angedroht werden, bevor diese ausgesprochen wird.
Bei vielen andern Gründen für eine fristlose Entlassung wie beispielsweise Betrug bei der Arbeitszeit, Diebstahl etc. ist keine Verwarnung erforderlich.
In den allermeisten Fällen besteht somit ein erhebliches Risiko, dass ein Gericht eine direkte fristlose Kündigung als ungerechtfertigt qualifiziert. Dies hat zur Folge, dass der gekündigte Arbeitnehmer Anspruch sowohl auf Schadenersatz (derjenige Lohn, den er im Falle einer ordentlichen Kündigung bis zum Ende der Kündigungsfrist verdient hätte) als auch auf eine Entschädigung in Höhe von bis zu sechs Monatslöhnen hat.⁴ Dies kann eine stattliche Summe ergeben.